Das Thema um die fehlende Integration und das mangelhafte Sozialverhalten von Schülern in der Hauptschule, wie im aktuellen Fall in Berlin, ist eigentlich völlig unsinnig. Die Diskussion muß bereits die Grundschulen miteinbeziehen, denn wenn schon in der ersten Klasse Fälle von schwerem Mobbing auftreten, sollten eigentlich bei jedem Bürger, der einigermaßen an seiner Umwelt interessiert und halbwegs bei Verstand ist, die Alarmglocken schrillen.
Es gibt an einer Fallersleber Grundschule (Raum Wolfsburg) einen konkreten Fall von Mobbing an einem Siebenjährigen – seitens seiner Mitschüler und, was noch schlimmer ist: seitens seiner Lehrer.
Der Junge ist leicht gehandicapt durch Sprachstörungen, die durch konsequente Behandlung bereits stark verbessert werden konnten, spricht aber inzwischen genauso verständlich wie andere Altersgenossen. Man muß nur zuhören können. Eine Fähigkeit, die bedauerlicherweise vielen Lehrern (und nicht nur denen) inzwischen abhanden gekommen ist. Eine andere Eigenschaft des Schülers, keine schlechte, ist seine Willensstärke. In der ersten (!) Unterrichtswoche nach der Einschulung im vergangenen Sommer interpretierte eine Sportlehrerin dies als Verweigerungshaltung und packte den Jungen am Oberarm, um ihn zum Mitspielen zu „ermutigen“. Erstes prägendes Erlebnis der ersten Sportstunde: Mittelschwere Blutergüsse.
Doch damit nicht genug: Bereits vor Schulbeginn bat eine Nachbarin der Familie im persönlichen Gespräch mit der Grundschul-Direktorin, ihre Tochter und den betreffenden Jungen doch bitte verschiedenen Klassen zuzuordnen. Hintergrund sind Differenzen zwischen den Eltern, die jedoch damals noch nicht zwischen den Kindern bestanden. Das hat sich inzwischen geändert, denn die Mutter des Nachbarmädchens hat mit unendlicher Geduld die Eltern der Mitschüler davon überzeugen können, daß der Junge in jener Klasse fehl am Platz sei. Der Beginn eines Teufelskreises: Das Mädchen und einige Freundinnen spielen am Nachmittag Streiche, die sich am nächsten Tag in der Schule fortsetzen. Der Junge wehrt sich verständlicherweise – doch nur er wird erwischt, wenn er eine Reaktion zeigt. Die eigentliche Reaktion seitens der Mitschüler(in) wird ignoriert. Streß ist kein Phänomen, das nur bei gutverdienenden Managern mittleren Alters vorkommt: Inzwischen hat es sich bis in die Kinderzimmer ausbreiten können. Doch wo sich bei einem Erwachsenen Magengeschwüre ausbreiten, äußert sich der unglaubliche Druck bei einem siebenjährigen Grundschüler im Bettnässen – ein weiterer Angriffspunkt, den Kinder in ihrer unglaublichen Boshaft, die sie unzweifelhaft brauchen, um sich schon früh ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen zu können, natürlich dankend notieren. So wird das Opfer „Hosenpisser“ und „Heulsuse“ gerufen – und seine Reaktion auf die Hänseleien bestraft. Mit Ausschluß vom Unterricht etwa; folgt er nicht freiwillig auf den Flur, weil er gestört hat, kommt es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen. Die inzwischen verständliche Trotzreaktion, etwa bei der betreffenden Lehrerin mit Schmollen den Unterricht kommentieren und Hausaufgabenverweigerung, erzeugt nur weitere Hänseleien und führt bereits so weit, daß die Lehrer ihn komplett ignorieren. Wenn er bei anstehenden Bestrafungen auf den wahren Übeltäter verweist, wird er nicht „verstanden“: „Der Junge spricht ja so undeutlich!“
Den vorläufigen Höhepunkt erreichte diese traurigen Schulkarriere vor wenigen Wochen: Der Junge wurde nach erneuten Vorfällen einen Tag vom Unterricht suspendiert. Ohne Vorwarnung, denn erst eine Woche später wurde eine Lehrerkonferenz einberufen. Normalerweise passiert dieser Vorgang genau in der umgekehrten Reihenfolge.
Der aktuelle Stand ist ebenfalls nicht erfreulich: Daß der Junge in seiner jetzigen Klasse nicht bleiben kann und sollte, steht außer Frage. Doch wo kann man dem Kind wieder etwas mehr Vertrauen in die Institution Schule geben? Seine jetzigen Lehrer wollen ihn an die Sprachheilschule in der Moorkämpe versetzen, inzwischen zu Rate gezogene Pädagogen halten dies jedoch für unangemessen, da der Junge nicht mehr in solch gravierenden Rückstand auf seine Altersgenossen sei, um diese Maßnahme zu rechtfertigen. Sie plädieren eher dafür, ihn die 1. Klasse wiederholen zu lassen oder nach Braunschweig auf eine Förderschule zu schicken, die mit Kleingruppen arbeitet. Das letzte Wort haben die Eltern.
Solange es also in diesem Land schon an Grundschulen zu solchen Mißständen kommt, sind die Diskussionen um die fehlende soziale Integration von Hauptschülern fehl am Platze. Wie sagt doch der Volksmund seit langer Zeit und nicht zu Unrecht:
„Ein jeder kehre zunächst vor seiner eigenen Türe.“